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Mit allen Sinnen lernen

Dr. rer. nat. Marion Müller | Mai 2019
„Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk und der rationale Verstand ein treuer Diener. Wir haben eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.“ – Albert Einstein, deutscher Physiker, 1879–1955

Es ist wunderbar, Zeit zu haben und ausprobieren zu dürfen. Neugierig und ungezwungen Pläne zu entwerfen und sich mit allen Sinnen in ganzkörperliches, spielendes, freudvolles Lernen zu begeben. Intuition gepaart mit dem Wunsch, Neues entstehen zu lassen und gleichzeitig eigene Möglichkeiten und Grenzen zu erfahren, ohne dass jemand vorgibt, „wohin die Reise geht“. Piaget (1896–1980) postulierte, dass Wissen das Produkt eines aktiven, erfahrungsgetriebenen Konstruktionsprozesses ist. Misserfolge dürfen als Herausforderungen erlebt werden, die bewältigt werden können, wenn lange genug darüber nachgedacht, ausprobiert und verändert werden darf.

Meine Arbeit mit Kindern zeigt mir, dass es in den ersten Lebensjahren für die gesunde Entwicklung von Kindern wichtig ist, dass sie sich ganzheitlich erspüren und erfahren dürfen. Raum, Größe und Gewicht können nur über das Tun im Raum, das handliche Spiel mit Gewichten und Körpern erfahren und be-griffen werden. Die eigene Körpergröße, die sich gerade bei Kleinkindern so schnell verändert, ist ausschließlich durch Bewegung und Spiel im fühlbaren Umgang mit Dingen in der Lebenswelt des Kindes für dieses erfahrbar. „Wie hoch muss ein Turm sein, damit ich noch darüber hinwegsehen kann?“, „Wie verändert sich die Stabilität eines Turms mit wachsender Höhe und wie muss ich meine Bewegungen anpassen, wenn der Turm mit zunehmender Höhe instabiler wird?“, usw.

Ein Junge baut einen Turm aus Einheitsbausteinen (Unit Blocks) und stößt ihn dann um

Kinder denken im Laufe ihrer Entwicklung zunehmend differenziert, daher sollte angebotenes Spielmaterial dieser Differenzierung folgen können. Am Anfang lernt das Kind durch schlichtes Tragen von Objekten etwas über unterschiedliche Gewichte. Das Anfassen verschiedener Materialien fördert die sinnliche Wahrnehmung. Wasser, Steine, Matsch, Holz und vieles mehr gilt es zu entdecken. Es folgen Versuche des Kindes, Gegenstände zu stapeln. Schließlich werden die Konstruktionen detaillierter mit immer neuen und konkreteren Ideen. Hierfür sollte nach meinem Ermessen Spielmaterial angeboten werden, das aus dem Spiel heraus Variationen eröffnet, ohne das Kind in seiner Kreativität, seinem aktuellen Vorstellungsvermögen und seiner Tatkraft zu über- oder unterfordern oder sogar einzuengen.

All das bietet der Umgang mit großen Konstruktions- bzw. Bauelementen, die die Natur als Erfahrungsraum einschließen und den Kindern ermöglicht, sie in ihr Spiel einzubeziehen. Bei meinen Beobachtungen stellte ich fest, dass Kinder hier naturwissenschaftlich intuitiv über Versuch und Irrtum grundlegende physikalische Kenntnisse erlangen.

Zwei Mädchen konstruieren sorgfältig ein Bauwerk mit Outlast Bausteinen 

Wenn Form, Farbe und Funktion des Baumaterials möglichst wenig definiert sind, bleiben die inhaltliche Führung des Spiels sowie die Konsequenzen daraus bei den Kindern.

Ich lernte während meiner Arbeit, dass der Bau von Hütten, Brücken, u.a. und das Experimentieren mit Material, die Fantasie und Kreativität von Kindern derart anregt, dass sie sich häufig in intensiven Rollenspielen „verlieren“. Diese schulen soziale Fähigkeiten und die später beruflich so wichtigen „Soft Skills“ bzw. trainieren den positiven Umgang mit anderen Menschen. Das gemeinsame, konstruierende und explorierende Spiel ermöglicht Kindern Selbstwirksamkeit zu erspüren, zu erlernen und zu verfestigen als auch soziale Werte im gemeinsamen, konstruktiven Bau selbstständig zu verstehen. Ganzheitliches, ganzkörperliches Experimentieren in der eigen geschaffenen Lebenswelt ist meines Erachtens eine Lernumgebung, die den ganzen Menschen auf das spätere Leben in allen Facetten vorbereitet.

Dieser Prozess ist eine Form des Lernens, der insbesondere in der rasanten Entwicklung der digitalen Welt nicht vergessen werden darf und großen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes nimmt. Kindheit sollte ein Verweilen ermöglichen und eine Reise sein. Rasante Geschwindigkeiten, die Oberflächlichkeit fördern, sind häufig eine Kreation der Erwachsenenwelt. Selbstwirksamkeit, Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen in die eigene Person und die eigenen körperlichen Fähigkeiten zu entwickeln, fördert eine stabile Basis für die Persönlichkeit. Die in der Kindheit erworbenen räumlichen und sinnlichen Erfahrungswerte befähigen einen Menschen später zu einem reifen Umgang mit digitalen „Helfern“ bzw. einem sicheren Auftritt in der digitalen Welt, im zweidimensionalen Internet (Computer, Smartphone, …) sowie auch in einer dreidimensionalen erweiterten Realität (Augmented Reality).

Drei Kinder kooperieren beim Aufbau einer Struktur mit Outlast Bausteinen, ein Mädchen zählt mit den Fingern.

Je haltbarer das Material, aus dem solche Bausteine hergestellt sind, desto länger können sie die Entwicklung eines Kindes begleiten und hierdurch zu einer spielerischen „Heimat“ über mehrere Entwicklungsstufen hinweg werden. Wer erinnert sich nicht gerne an die „Waschtrommel“ mit den vielen Holzbausteinen, die bis in das Erwachsenenalter noch zu Familienfeiern hervorgeholt werden und bis heute allen Generationen Spaß bereiten.

Im Hinblick auf die Ziele der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) sollte es selbstverständlich werden, dass bei der Herstellung von Spielzeug intensiv darüber nachgedacht wird, aus welchem Material dieses hergestellt wird. Bemerkenswert ist, dass es mittlerweile Verfahren gibt, durch die z. B. Weichhölzer nicht nur langlebig und stabil, sondern auch umweltfreundlich und frei von Giftstoffen sind. So entsteht dauerhaftes Spielmaterial für die Zukunft.

Kinder in einem Wald holen sich Outlast Bausteine aus einem Outlast Schrank

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