Besser lernen durch Bewegung
Warum Bewegungsspiel Teil des pädagogischen Konzepts sein muss
| September 2022Wir sehen heute, welchen Herausforderungen Kinder durch die Kitaschließungen während der Corona-Pandemie ausgesetzt waren. Inzwischen ist zum Glück eine Art von Normalität wieder eingekehrt, aber die Folgen des Lockdowns werden uns noch lange begleiten: Entwicklungsrückstände und Wissenslücken gerade bei Kindern aus bildungsfernen Milieus.
Viele Fachkräfte fragen sich, wie sie Rückstände ausgleichen können, die während der Pandemie entstanden sind. Als Erwachsene würden wir vielleicht sagen, wir strengen uns jetzt doppelt an und arbeiten gezielt an den Punkten, die im Bildungsplan stehen, um eventuelle Lücken zu schließen. Aber ist das die richtige Antwort? Ich würde mit Nachdruck sagen: Nein.
Das Gehirn ist wie ein Schwamm. Wenn es voll ist, kann es nichts mehr aufnehmen, bis es wieder ausgewrungen ist. Als Erwachsene machen wir instinktiv Pausen während der Arbeit. Wir holen uns einen Kaffee, ein Glas Wasser oder werfen einen Blick auf die sozialen Medien. Diese Pausen geben dem Gehirn Zeit, sich zu regenerieren.
Spielen ist die Art, wie Kinder ihr Gehirn auswringen. Spielen ist eine Zeit, in der sie sich entspannen und neu orientieren können, sodass ihr Gehirn wacher ist, wenn es wieder Zeit für angeleitete Tätigkeiten ist. Es ist das Freispiel, das Kindern ermöglicht, die Kraft und motorischen Fähigkeiten zu entwickeln, die sie bei geführten Tätigkeiten anwenden müssen, und auch die Entwicklung von sozialen Fähigkeiten, die sie ihr ganzes Leben hindurch benötigen werden, findet hier statt.
Wie Freispiel Kraft und Motorik fördert
Kinder brauchen Kraft in den Armen und Beinen, im Nacken und in der Körpermitte, um an einem Tisch zu sitzen, einen Stift oder Pinsel zu halten und zu bewegen und um ihren Körper ruhig zu halten, damit sie aufpassen können. Diese Kraft bauen Kinder im Spiel auf, wenn sie rennen, klettern und schaukeln.
Kinder müssen wissen, wo ihr Körper anfängt und wo er aufhört, damit sie diese Informationen über Räumlichkeit aufs Papier übertragen können, wenn sie Schreiben lernen. Wie viel Platz braucht ein Buchstabe oder ein Satz? In welche Richtung bewegen sie ihren Stift, wenn sie schreiben? Kinder lernen diese Fähigkeiten spielerisch, wenn sie sich beim Versteckspiel unter dem Bett verstecken oder sich durch einen Zaun quetschen, um zu erkunden, was dahinter liegt.
Kinder müssen mit Rhythmus vertraut sein, damit sie Muster verinnerlichen können, die ihnen helfen, den Rhythmus der Sprache, Abfolgen beim Schreiben, Muster beim Zählen und Rechnen und die Ordnung von Logik und Denken zu verstehen. Sie entwickeln beim Spielen ein Gefühl für Rhythmus, wenn sie springen, werfen und hüpfen.
Außerdem setzt Bewegung bei Kindern Botenstoffe im Gehirn frei, die sich positiv auf Kognition, Verhalten und Gedächtnis auswirken und somit direkt den Lernprozess fördern. Wenn Kinder aktiv und grobmotorisch spielen, bewegen sie sich.
Diese Kraft und diese Fähigkeiten können nur durch Bewegung erworben werden. Und grobmotorische Spiele sind am besten dazu geeignet, Kinder zum Bewegen zu motivieren. Während einige Kinder auch während des Corona-Lockdowns die Gelegenheit hatten, draußen zu spielen, bedeutete diese Zeit für viele andere, mehr Zeit vor Bildschirmen zu verbringen als je zuvor. Wenn wir die Bildungslücke schließen wollen, dann müssen wir auch die Bewegungslücke schließen, die sich besonders für Kinder aus ohnehin benachteiligen Milieus aufgetan hat.
Und wir wissen, dass Pausen mit Bewegung förderlich sind. Nehmen wir zum Beispiel Finnland, ein Land, das dafür bekannt ist, bei internationalen Bildungsstudien Spitzenwerte zu erzielen. Finnische Schulkinder haben pro Stunde Unterricht fünfzehn Minuten Pause im Freien. Das Spiel im Freien ermöglicht ihnen, mit ihren Körpern zu lernen und zu erkunden und gibt dem Gehirn die wichtige Denkpause, was dann hilft, schulisch erfolgreich zu sein. Eine Grundschule in Texas in den USA hat sich dazu entschlossen, diese Theorie anzuwenden und hat ihre Pausenzeit auf insgesamt sechzig Minuten pro Tag verdreifacht. Zuerst waren die Lehrkräfte besorgt, dass sie den Lehrplan nicht würden einhalten können, aber schon nach den Weihnachtsferien waren ausnahmslos alle Klassen dem Lehrplan voraus, obwohl es pro Tag vierzig Minuten weniger Unterricht gab.
Wie Spiel die sozialen und emotionalen Fähigkeiten fördert
Es gibt entscheidende soziale und emotionale Fähigkeiten, die nur im Spiel entwickelt werden können. Wenn wir Menschen selbstbestimmt und unstrukturiert spielen, lernen wir, Kontakte zu knüpfen, zusammenzuarbeiten und Körpersprache zu lesen. Wir lernen, uns durchzusetzen, Grenzen zu setzen, zu teilen und uns zu beherrschen.
Stellen Sie sich einen Spielplatz voller spielender Kinder vor. Das Erste, was Ihnen vielleicht auffällt, ist die Geräuschkulisse. Sie ist in der Regel fröhlich und laut. Die Evolution unseres Körpers hat dazu geführt, dass uns grobmotorische Aktivitäten Spaß machen. Das fördert körperliche Kraft und Fähigkeiten wie die oben genannten. Außerdem hilft es den Kindern, soziale Fähigkeiten zu entwickeln, die sie ihr ganzes Leben lang brauchen werden.
Das könnte so aussehen: Ein Kind bringt eine Spielidee ein, entweder eine neue Idee oder die Fortsetzung eines früheren Spiels. Ein Freund macht mit und schlägt eine Änderung vor, mit der er das Spiel in eine neue Richtung lenkt. Das Spiel entwickelt sich, und immer wieder tauchen neue Ideen und neue Alternativen auf. Es wird unweigerlich zu Konflikten kommen und möglicherweise wird ein Kind aggressiv werden. Wenn dies geschieht, kann sich das andere Kind zurückziehen und damit sein Missfallen über diese Art von Spiel zum Ausdruck bringen. Es kann auch sein, dass ein Kind sich aufregt, wenn seine Idee abgelehnt wird, oder es kann vorkommen, dass nicht genug Material da ist, um eine Spielidee weiter zu verfolgen. Was auch immer die Herausforderung ist, die Kinder stehen vor einer Wahl: Entweder sie finden eine Lösung oder das Spiel geht zu Ende.
In solchen Interaktionen zeigt sich das Potenzial von unstrukturiertem Freispiel. Die Kinder wollen, dass das Spiel weitergeht. Es ist ihr eigenes Spiel, es gehört ihnen. Sie bestimmen, worum es in diesem Spiel geht, sie legen die Regeln fest, und sie haben ein Interesse daran, dass das Spiel weitergeht. Weil sie das Spiel als ihr eigenes empfinden, entsteht hier eine Fülle von Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten. Gerade während der Corona-Pandemie fehlte vielen Kindern diese interaktive Spielform, wo Konflikte erlebt und gelöst werden können. Viele Kinder haben ein ganzes Jahr dieses Austausches verpasst: sich die Ideen von anderen Kindern anzuhören, knappes Spielmaterial zu teilen und einen Weg zu finden, das Spiel zum Laufen zu bringen. Die sozialen und emotionalen Fähigkeiten, die hier spielerisch erworben werden, sind mindestens genauso wichtig wie Fähigkeiten aus den klassischen Bildungsbereichen.
Wie kann dieses Lernen in den Tagesablauf der Kinder integriert werden? Durch angeleitetes Spiel ebenso wie durch Freispiel. Während beim angeleiteten Spiel ein Erwachsener das Spiel anleitet und gestaltet, bestimmen und steuern die Kinder das Freispiel selbst. Kinder brauchen beides. Wenn Bildungs- und Entwicklungsrückstände aufgeholt werden sollen, muss unbedingt Zeit zum Spielen zur Verfügung stehen.
Zunächst einmal sollten Kinder jeden Tag mindestens 30 Minuten lang Zeit zum Freispiel haben, je mehr, desto besser. Es gibt wirklich keine Ausrede dafür, diese Zeit zu verkürzen. Je kürzer die Zeit für Freispiel ist, desto schwieriger wird sich der Rest des Tages für alle Beteiligten gestalten, was natürlich jede Art von Lernen erschwert.
Auch das angeleitete Spiel ist für die kindliche Entwicklung wichtig. Es gibt spezielle Sport- oder Bewegungsangebote, aber mit etwas Fantasie und Planung lässt sich Bewegung in fast alle Angebote integrieren. Wenn wir Spiel und Bewegung in unsere Angebote integrieren, helfen wir Kindern, neuronale Verknüpfungen im Gehirn zu festigen und so neues Wissen zu verankern. Ob es darum geht, körperliche Bewegung in eine Gedächtnisaufgabe einzubauen oder beim Rechnen Liegestützen zu machen: Bewegung beim Lernen hilft Kindern, das Gelernte zu behalten. Ob Sie es glauben oder nicht, sogar Schreibübungen können aktiv, schweißtreibend und echte Spaßbringer sein.
Buchstabierstaffellauf – Buchstabieren, Teamwork und Bewegung
Vorbereitung:
Die Kinder werden in Teams von jeweils zwei bis vier Kindern aufgeteilt. Jedes Team hat eine Liste mit Wörtern mit drei Buchstaben, wobei je ein Buchstabe fehlt (also G_L, H_I, R_T). Auf dem Boden liegen Karten mit Buchstaben, mit denen die Wörter vervollständigt werden können. Das erste Teammitglied findet einen Buchstaben, um ein Wort zu vervollständigen, läuft zur gegenüberliegenden Seite des Raumes um einen Kegel oder Stuhl, kommt zurück, um das Wort zu vervollständigen, und tippt den nächsten Teamkollegen an. Das Spiel wird fortgesetzt, bis die Wörter der Teams vollständig sind.
Ändern Sie das Spiel:
- Versuchen Sie statt zu laufen Hampelmänner, Springen, Hüpfen, Krabbeln
- Verwenden Sie längere Wörter
- Machen Sie ein Mathe-Spiel daraus, indem Sie Rechenaufgaben verwenden
Die Kinder können diese Spiele auch zu Hause mit Geschwistern oder allein spielen.
Es gibt viele Möglichkeiten, körperliche Bewegung in angeleitete Tätigkeiten zu integrieren. Reimen Sie mit Verben, deren Bedeutung dann gespielt wird oder hüpfen Sie eine Riesen-Zahlenreihe herunter. Wenn Kinder sich bewegen, lernen sie.
Wir alle wollen, dass Kinder in allen Bereichen des Lebens erfolgreich sind. Wir wollen, dass sie klug und stark werden und stabile Freundschaften haben. All das hat in der Pandemie gelitten. Wir dürfen die körperliche, soziale und emotionale Entwicklung der Schüler nicht weiter gefährden, indem wir versuchen, bestimmte Punkte eines Bildungsplans abzuhaken. Die Fähigkeiten, die wir beim Spielen erwerben, werden uns in der Kita, in der Schule und im Berufsleben zugutekommen. Das sind keine Fähigkeiten, die man mit einer App, einem Computer oder Karteikarten lernen kann. Diese Fähigkeiten werden nur im Spiel entwickelt – Spiel, das jeden Tag stattfinden muss.
Literaturhinweise
Pearson, Catherine, 2021. Experts Predict What School Will Look Like Next Fall 1.11.2021 Huffington Post
Reilly, Katie, 2017. Is Recess Important for Kids or a Waste of Time? Here’s What Research Says. time.com 23/10/17
Wong, Alia, 2016. Why Kids Need Recess. The Atlantic 15/11/16