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Reflektierende Praktiken in der Frühpädagogik

Zeit zum Staunen finden

Ron Grady M.S.Ed. | November 2024

Ein kleines Kind, das durch eine Lupe schaut

Das Thema Reflexion in der frühkindlichen Bildung stößt oft auf eine Mischung aus Bewunderung und Frustration. Ja, wir alle wissen, dass Reflexion ein wichtiges Element im Repertoire jeder pädagogischen Fachkraft ist – ein Bestandteil der pädagogischen Praxis, der unser Verständnis für Kinder vertieft und unsere Wertschätzung für sie vergrößert. Wir bewundern diejenigen, die das schaffen. Die passende Zeit dafür zu finden – zwischen vielen Terminen, hektischen Tagen und wachsenden Verpflichtungen (ganz zu schweigen von einem erfüllten Privatleben!) – kann allerdings schwierig und manchmal frustrierend sein. Was können wir also tun, um unser Team und uns selbst zu ermutigen, Zeit für diese Reflexion zu finden oder freizuräumen, wo wir doch wissen, wie wichtig sie für unsere tägliche Arbeit ist?

Ein Kind und eine Erzieherin sitzen auf dem Boden und spielen mit Holzbausteinen und einer Puppe.

Im Staunen verwurzelt

Reflexionsarbeit ist im Staunen verwurzelt. Staunen bezieht sich hier auf eine Grundhaltung der Neugier, die wir einem Ereignis oder Phänomen entgegenbringen, das wir beobachten. Dieses Staunen wiederum ist die Hauptmotivation für die eigene Reflexion und führt uns an einen Punkt, wo wir uns als pädagogische Fachkräfte aufgefordert fühlen, tiefer einzusteigen und mehr zu verstehen. Diese Motivation, vor allem, wenn sie intrinsisch ist, ist die treibende Kraft für unsere Reflexionsarbeit. Es ist wirklich ein einzigartiges Gefühl, angetrieben durch die eigene Neugier diesen Weg des Staunens zu beschreiten. Mit dem Lernen aufzuhören kommt plötzlich nicht mehr infrage: die Faszination und die Freude, neue Verbindungen zu knüpfen, machen es zum Selbstläufer.

Fragen nach dem „Warum?“ und „Was wäre wenn?“

Eine Grundhaltung des Staunens wiederum lädt uns als pädagogische Fachkräfte zu Fragen ein, die mit „Warum …?“ und „Was wäre, wenn …?“ beginnen. Das Stellen von „Warum“- und „Was-wäre-wenn“-Fragen kann unser Verständnis für die Interaktionen der Kinder untereinander ebenso vertiefen wie unser Verständnis unserer eigenen Reaktionen und unserer Rolle im Lernprozess. Wenn Kinder sich mit Superhelden, Tieren oder Prinzessinnen und Prinzen beschäftigen, oder wenn sie ein bestimmtes Kunstmaterial erforschen, ergibt sich oft ein Einstiegspunkt zum gemeinsamen Staunen. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, dass die Kinder in Ihrer Obhut davon fasziniert sind, Kätzchen zu spielen: wildes Raufen, aufeinander Liegen und endloses Lachen.

Ein auf die Kinder bezogenes „Warum?“ könnte fragen: „Warum sind die Kinder so fasziniert von diesem Spiel? Warum ist es den Kindern wichtig, dass es zu diesem Spiel gehört, wild zu sein?“

Ein auf die Fachkräfte bezogenes „Warum“ fragt vielleicht: „Warum bin ich als Fachkraft so beunruhigt über das wilde grobmotorische Spiel der Kinder?“

Ein auf die Kinder bezogenes „Was wäre wenn?“ könnte fragen: Was wäre, wenn die Kinder andere Möglichkeiten hätten, das Nebeneinander von Wildheit und Zärtlichkeit zu erkunden? Wie wäre es, wenn wir darüber sprechen würden, warum Tierbabys miteinander raufen und balgen, und was sie dabei lernen? Wohin könnte das führen und was könnte dabei herauskommen?

Ein auf die Fachkräfte bezogenes „Was wäre wenn?“ könnte sich fragen: Was wäre, wenn ich die Sprache ändern würde, mit der ich mir selbst, meinem Team und in meiner Dokumentation das Spiel beschreibe? Was wäre, wenn ich mich bemühen würde, eine präzisere, respektvollere Sprache zu finden, um den Prozess zu beschreiben, der sich im Spiel der Kinder entfaltet?

Eine Erzieherin schaut auf zwei Kinder, die mit Buntstiften und Kunstmaterialien an einem Tisch sitzen.

Zeit freiräumen: in Ihrem Alltag

Ebenso wie die Arbeiten der Kinder sich in ihrer Entstehung und in ihrer endgültigen Form nie exakt gleichen, so ist auch jede reflektierende Praxis individuell und einzigartig. Das ist das Schöne an authentischer reflektierender Praxis. Es gibt aber ein paar Grundsätze, die für diejenigen nützlich sein könnten, die mit reflektierenden Praktiken beginnen, sie aufrechterhalten oder neu konzipieren wollen.

Sie haben schon mit dem Reflektieren angefangen! Sie reflektieren bereits, indem Sie als frühpädagogische Fachkraft arbeiten. Als Pädagoginnen und Pädagogen ist unser ganzer Tag auf Kinder ausgerichtet: Wir stellen Fragen über Kinder, wir sammeln Beobachtungen und Informationen über Kinder, über das, was sie wissen, was sie lernen und wie sie die Welt erleben.

Unabhängig von den Besonderheiten Ihres Umfeldes – ob Sie in einem progressiven, liberalen Umfeld arbeiten oder in einer stark unternehmerisch geprägten Struktur, wo Sie zu festen Zeitpunkten über Lernerfolge Auskunft geben müssen – als Pädagoginnen und Pädagogen besteht unsere Kernaufgabe darin, über die Leben der Kinder zu reflektieren. Es kann hilfreich sein, das zu verinnerlichen, wenn wir über die folgenden Punkte nachdenken.

  • Alltägliche Handlungen und Fragen mit neuen Augen sehen und mit neuen Worten benennen. Unsere Sprache hat einen großen Einfluss darauf, wie wir die Welt sehen – deshalb achten wir so sehr darauf, kleinen Kindern gegenüber eine präzise Sprache zu verwenden. Wenn wir ein Kind beobachten, das seine Zeit damit verbringt, Buchstaben und buchstabenähnliche Formen auf ein Blatt Papier zu schreiben, könnten wir von der Frage: „Was weiß dieses Kind über Buchstaben?“, zu etwas übergehen wie: „Ich frage mich, was dieses Kind an Buchstaben fasziniert? Ihre Formen? Ihr kommunikatives Potenzial?“
  • Andere in den Reflexionsprozess einbeziehen. Eine weitere wirkungsvolle Methode des Reflektierens besteht darin, Reflexion in bereits bestehende Rituale in der Kita einzubetten und andere (z. B. das Team und die Kinder) in den Prozess einzubeziehen. Ein einfaches Gespräch während der Pause zählt als Reflexion – ebenso wie Staunen, Fragen, Diskutieren und Nachdenken mit Kindern. Dies kann während einer offiziellen Besprechung geschehen, während man von einem Raum zum anderen geht oder bei einem Kaffee am Wochenende.

Zeit freiräumen: in Ihrem Umfeld und Kontext

In ihrem Buch From Teaching to Thinking stellen Ann Pelo und Margie Carter fest, dass reflektierende Praktiken nur existieren können, wenn sie in den „Visionen und Werten“, die „Organisationssystemen Form und Bestand geben“, gefördert und berücksichtigt werden. (2018, S. 103) Kurz gesagt, ein entscheidendes Element reflexiver Praktiken und Nachdenken über Bildung besteht darin, sich Zeit zu nehmen, und zwar nicht im Kita-Alltag, sondern auch für die institutionellen Strukturen, in denen wir als Pädagoginnen und Pädagogen existieren.

Sich Zeit zu nehmen ist oft nicht leicht, aber es lohnt sich. Zu Beginn könnte man sich fragen: Was funktioniert für mich? Wann freue ich mich am meisten, wenn ich an meine Gruppe denke? Wenn der Tag schon richtig Fahrt aufgenommen hat? Während einer geplanten Vorbereitungszeit? Die unumgängliche Wahrheit ist: Reflektierende Praktiken beanspruchen Zeit – aber mühselig muss es nicht sein.

Diese Zeit könnte mit einer Minute der Besinnung anfangen, die an irgendeine Pause (Toiletten-, Kaffee-, Frühstückspause etc.) angehängt ist. Eine besinnliche Minute, in der man sich selbst zum Staunen einlädt, ist der perfekte Anfang – wochenlang jeden Tag eine Minute, das läppert sich. Je mehr wir nach solchen Momenten Ausschau halten, desto einfacher und wirkungsvoller werden sie für uns.

Eine Gruppe von Kindern und eine Erzieherin sitzen oder stehen um einen Tisch herum und spielen mit farbigen Glasperlen.

Frucht der Reflexion: Intentionalität kultivieren

Die Früchte der Reflexion sind vielfältig – sie umfassen unter anderem eine gesteigerte Intentionalität, eine stärkere Gewohnheit, Dinge zu hinterfragen und neue Perspektiven einzunehmen, um uns selbst, andere Fachkräfte und die Kinder, mit denen wir arbeiten, mit anderen Augen zu sehen.

  1. Intentionalität. Reflexion und Intentionalität sind eng miteinander verbunden und bedingen sich vielleicht sogar gegenseitig. Reflexion führt zu Intentionalität, und eine intentionale Haltung beinhaltet notwendigerweise Reflexion. Wenn wir zum Beispiel geduldig beobachten, wie Kinder im Spiel Rituale wie Aufstehen, Essen und Anziehen inszenieren, können wir über alles Mögliche reflektieren. Das kann anfangen damit, was aus Sicht der Kinder an diesen Ritualen das Wichtigste ist bis hin zu Fragen über die Spielthematiken, die wir mit den Kindern beim nächsten Sitzkreis diskutieren wollen. Es kann etwas sein, dass wir mit einer Kollegin oder einem Kollegen besprechen wollen oder unsere eigenen Fragen darüber, die diese Rituale mit allgemeinen gesellschaftlichen Normen zusammenhängen.
  2. Hinterfragen als Gewohnheit. Reflexionspraktiken helfen uns auch, immer wieder zu staunen und zu hinterfragen. Wenn wir in der Lage sind, Reflexionsminuten, Reflexionsrituale und eine reflektierende Geisteshaltung in unsere tägliche Arbeit einzubauen, wird diese Gewohnheit des Hinterfragens immer mehr zur zweiten Natur. Das bedeutet, dass wir genau dort, wo wir gerade sind, mit dem Reflektieren anfangen können – ob in einer Teamsitzung, mit den Kindern beim Lösen eines Konflikts oder beim Beobachten, wie das Spiel der Kinder abebbt, weiterfließt und sich entwickelt.
  3. Perspektivwechsel. Häufig und gemeinsam mit anderen zu reflektieren, lädt uns dazu ein, außerhalb von uns selbst und unseren Erfahrungen nach Antworten zu suchen. Das kann durch Monologe oder Dialoge mit anderen, mit Ideen usw. stattfinden. Wenn wir über Dinge reflektieren, selbst über Vorstellungen, die wir selbst einmal hatten, lernen wir, unsere vertrauten Ideen und Denkmuster loszulassen. Das treibt uns an auf der Suche nach weiteren Antworten, die uns auf den Pfaden des ehrfürchtigen Staunens führen werden.

Das Wichtigste, was wir als pädagogische Fachkräfte tun können, ist, eine reflektierte Auseinandersetzung mit unserem Kita-Alltag aufrechtzuerhalten. Es besteht immer die Möglichkeit, neu anzufangen, die eigene Praxis zu vertiefen und herauszufinden, was für die eigenen Interessen, Bedürfnisse und den jeweiligen Kontext am besten geeignet ist. Die Reflexion und ihre Früchte zeugen letztlich von einem Bild der Kinder als kompetente Menschen, die ein reichhaltiges Leben führen, komplexe Ideen haben und die Welt intensiv erfahren.

Fragen zum Mitnehmen:

  • Wo haben Sie in Ihrem Alltag Platz für reflektierende Praktiken? Wo finden Sie Minuten der Besinnung?
  • Gibt es irgendetwas in Ihrem derzeitigen Raum oder in Ihrer Kita, das in Ihnen die Fragen aufkommen lässt: „Warum …?“ oder „Was wäre, wenn …?“ Wofür interessieren Sie sich?
  • Wen können Sie dafür gewinnen, mit Ihnen gemeinsam zu reflektieren? Einen Kollegen oder eine Kollegin? Die Kinder in Ihrer Gruppe oder in Ihrer Einrichtung? Eine Online-Community?

Literaturhinweise

Ann Pelo, Margie Carter (2018). From Teaching to Thinking: A Pedagogy for Reimagining Our Work, Redleaf Press.

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Weiterbildung